Joachim Gauck und die Muslime – halbe Zuneigung

Kommentar

Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Als Altpräsident Christian Wulff sich vor zwei Jahren zu einem Deutschland bekannte, indem auch der Islam zu Hause ist, trat er eine wüste Debatte los. Auch sein Nachfolger Joachim Gauck hat sich in diese Diskussion jetzt eingeschaltet – und weicht hinter dem zurück, was Wulff sagte. Der Integration tut er damit keinen Gefallen.

Deutsch-türkische Flagge in Neukölln. (Bild: Reiner Zenz/Wikipedia)

Deutsch-türkische Flagge in Neukölln. (Bild: Reiner Zenz/Wikipedia)

Die Debatte um den Islam in Deutschland geht in die nächste Runde – und schlägt mit den jüngsten Äußerungen vo n Bundespräsident Joachim Gauck wieder eine unselig Richtung ein. Jener sagte in einem am gestrigen Donnerstag erschienen Interview mit der „Zeit“, Präsident Wulff habe mit seiner Äußerung, der Islam gehöre zu Deutschland, die Bürger auffordern wollen, sich der Wirklichkeit zu öffnen. Und die sehe so aus, „dass in diesem Land viele Muslime leben“. Und mit dem Satz, der darauf folgte, distanzierte er sich zumindest indirekt von Wulff: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

„Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland“ – halten wir das kurz fest: Es leben Menschen muslimischen Glaubens hier, teils in der dritten und vierten Generation, arbeiten hier, zahlen Steuern, nehmen aktiv am politischen und kulturellen Leben teil, und ein Bundespräsident sagt ihnen, sie gehören zu diesem Land? Ist ja freundlich von ihm, mag sich mancher Muslim nun denken. Angesichts der islamophoben Welle nach Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ mag das in seiner ganzen Plattheit noch wie ein Zugeständnis klingen, wie eine Fortführung des Dialogs, den Christian Wulff bei all seinen Fehlern begonnen hatte.

Doch ist es das tatsächlich? Ein klares Nein. Für Plattitüden ist Gauck zu klug, zu sprachbewusst und zu politisch. Tatsächlich geht er mit seinem Satz auf die Sarrazin-Jünger zu –  und bleibt seinen eigenen Äußerungen  treu. Schließlich hat er schon während der Debatte 2010 Sarrazin „Mut“ für dessen Thesen zugebilligt. Diesmal allerdings mutet Gauck dem Bürger schon eine gehörige Exegesefähigkeit zu: Um sprachliche Nuancen geht es in seiner Äußerung  – doch die können bei der aufgeheizten Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehöre, weitreichende Folgen haben. Zwei Deutungen lassen sich aus seinem Satz herauslesen.

Warum trennt Gauck zwischen Islam und Muslimen? Warum die Spitzfindigkeiten? Wer stellt denn „den Islam“ in Deutschland dar? Die Menschen. Oder gäbe es ein Christentum ohne Christen? In der Trennung zwischen den Menschen und der Religion wird gern der Eindruck erweckt, „der Islam“ sei eine abstrakte Macht, die von Menschen unabhängig existiert, quasi Menschen „befallen“ könnte. Da „der Islam“  in Deutschland gerne als etwas Bedrohliches konstruiert wird, könnte so eine Äußerung den Eindruck erwecken, der „Kampf um die Köpfe“ der Muslime sei noch nicht vorbei. Wenn man nur „richtig integriere“, besteht noch die Chance, „der Islam“ würde verschwinden. Die Angst vor „dem Islam“ wird damit jedoch niemandem genommen. Deshalb ist Joachim Gaucks Aussage kontraproduktiv. Nur wenn auch „der Islam“ zu Deutschland gehören darf, wird es deutsche Muslime geben: Muslime, die sich in die deutsche Gesellschaft integrieren. Muslime, die keinen Widerspruch sehen zwischen der Ausübung ihres Glaubens und dem Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz.

Es kann natürlich auch sein, dass sich Gauck vor dem Bekenntnis scheut, dass „der Islam“ zu Deutschland gehört, weil er in Deutschlands Geschichte erst seit wenigen Generationen Gewicht bekommt. Sieht man den Islam als historisch-politisches Konzept, lässt sich natürlich fragen: Hat der Islam auf die Geistesgeschichte Deutschlands Einfluss gehabt? Doch das ist eine Frage für Historiker, um die sich akademisch trefflich streiten lässt. Im Mund von Politikern ist sie Zündstoff, denn „einfach nur so“ sagt niemand etwas in der Politik. Wenn ein hochgestellter Entscheider auf den angeblich nicht vorhandenen geschichtlichen Einfluss des Islams auf unser Land hinweist, hat dies Symbolkraft. Man fragt sich: Was sind die Konsequenzen? Haben deswegen Muslime weniger Recht auf freie Religionsausübung? In einer Demokratie natürlich nicht.

Ein Bundespräsident hat in Diskussionen wie diesen eine erhebliche Macht – er kann aktive Integrationspolitik leisten. Je mehr jungen Muslimen beigebracht wird, dass sie nicht zu diesem Land gehören, desto mehr werden sie sich bedrohlichen Phänomenen wie den Salafisten zuwenden. Denn die bieten jungen Menschen Zugehörigkeit und Identität an – und dies ohne große Ansprüche. Wir möchten aber Muslime, die sich zu Deutschland bekennen, mit allen Pflichten und Rechten. Anstatt also mit wortklauberischen Formulierungen an die Presse zu gehen, sollte Gauck sich offensiv zu allen Gruppen dieser Gesellschaft bekennen. Er sollte Ängste nicht nur verstehen, sondern sie auch bekämpfen. „Der Islam“ gehört hier und jetzt zu diesem Land – allein festzustellen, dass Muslime hier leben, reicht nicht aus.

Erschienen auf Yahoo! Nachrichten

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