Der Ruf des machtgeilen Umfallers

Den Beginn hatte man sich bestimmt harmonischer gewünscht beim Vorstand der Brandenburger Linken. „Jetzt klebt er an uns, der Ruf des machtgeilen Umfallers“, ruft Rainer Tietz, Kreistagsabgeordneter der Linke Oberhavel. Es ist Montagabend, der Brandenburger Landesvorstand der Partei „Die Linke“ hat die Basis in den Gasthof „Zum fröhlichen Landmann“ nach Oranienburg geladen, um für den Koalitionsvertrag zu werben, den er mit der SPD ausgehandelt hat. Artikel bei Klimaretter.info vom 3. November 2009 von Lars Dittmer

„Der Ruf des machtgeilen Umfallers: Ich finde, bei der Braunkohle haben wir diesen Ruf auch zu Recht,“ echauffiert sich der Abgeordnete Tietz, und kriegt sich gar nicht wieder ein. Thomas Nord, der Parteivorsitzende in Brandenburg, versucht die Wogen zu glätten, ruft die vielleicht 100 gekommenen Genossen zum Einhalten der Diskussionsordnung nach Themenblöcken auf.

Aber wie gesagt: Rainer Tietz ist auf 180. „Ich lass mir doch nicht das Wort verbieten“, schnaubt er und rauscht daraufhin geräuschvoll aus dem „Fröhlichen Landmann“. Möglicherweise standen zu diesem Zeitpunkt noch ein paar versprengte Bündnisgrüne vor dem Gasthof und haben ihn mit hämischen Blicken Flugblätter entgegengehalten. Sie halten sich nun für die einzig wahren Gegner der Kohlekraft in Brandenburg.

Nach dem Mini-Eklat um Tietz kehrt Ruhe ein auf der dritten Regionalkonferenz der Linken Brandenburg, wo die Kreisverbände Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Oberhavel, Barnim und Uckermark über die Ergebnisse des Koalitionsvertrags informiert werden sollten. Also zeigt Landesvorsitzende Kerstin Kaiser in einer anderthalbstündigen Rede eine Mischung aus Aufbruchstimmung („ein Politikwechsel ist möglich“) und Defensive („Kompromisse sind immer schwer zu erklären“). Zu der von ihr für möglich befundenen „Zerreissprobe“ kam es zumindest an diesem Abend nicht – zumindest hier im Norden Brandenburgs spalten die Themen Braunkohle, CCS und Energiepolitik „die Linke“ nicht.

Wirbt für den Koalitionsvertrag - Kerstin Kaiser von der Linken

Im Süden des Landes war das am vergangenen Freitag anders. 300 Genossen waren in den Kinosaal nach Cottbus gekommen und hatten ihrer Wut Luft gemacht. „Mit diesem Vertrag sind die Linken nicht mehr glaubwürdig“, wetterte etwa der Cottbuser Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic. Und das Signal aus Cottbus war klar: Von hier wird es beim morgigen Parteitag viele Gegenstimmen und noch mehr Gegenwind geben. Schließlich hatte die Linke im Brandenburger Wahlkampf mit einem Kurs contra Braunkohle und Tagebaue in der Lausitz gepunktet und sogar das Volksbegehren „Keine neue Tagebaue“ mitinitiert.

Im Koalitionsvertrag bekannten sich nun SPD und die Linken zu einer Fortführung der bisherigen Politik: Leute aus ihren Häusern verjagen, zwangsenteignen, umsiedeln, riesige Löcher in die Erde buddeln, Landschaft schänden, Klima schädigen.

Kerstin Kaiser bekannte nun dementsprechend auch im „Fröhlichen Landmann“ eigene energiepolitische „Bauchschmerzen“. Im Volksbegehren seien bis Februar 2009 aber nur 25.000 Stimmen gegen neue Tagebaue abgegebenen worden – 80.000 wären nötig gewesen zu einem Erfolg des Volksbegehrens. „Mit einem gescheiterten Volksbegehren im Rücken war nicht mehr drin“, sagt Kerstin Kaiser zum Koalitionsvertrag. Zumal die SPD in diesem Punkt unerbittlich gewesen sei: „Wir ließen nicht beim Kita-Betreuungsschlüssel mit uns reden und die SPD nicht bei den Tagebauen.“ So habe jeder seine Opfer gebracht.

Kaiser drehte in ihrer Rede den Spieß geschickt um: Die Sozis hätten sich wie die lobbyistische Verlängerungen der Energieindustrie in den Verhandlungen benommen. „Das einzige Ziel der Landesregierung war es bislang, Vattenfall Spielräume für möglichst große Gewinne zu ermöglichen“, so Kerstin Kaiser. Aber da saß der Kreistagsabgeordnete Rainer Tietz vermutlich schon zu Hause beim Bier.

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Dass „die Linke“ tatsächlich ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, wird beim Thema CCS deutlich –  die Verpressung von Kohlendioxid war im Wahlkampf von der Linken stets abgelehnt worden. Und tatsächlich ist dieses Thema in Brandenburg in der breiten Bevölkerung angekommen: Vattenfall läßt nach unterirdischen Speichern bohren – unter den Häusern der Leute.

Nur erhielt CCS im Koalitionsvertrag eine Gnadenfrist: „Lasst uns abwarten was die Forschung zu CCS ergibt“, bat Kaiser die Oranienburger Genossen. Summa summarum, so klang durch, hat die Linke einen reinen Abwehrkampf in Sachen Kohleverstromung gefochten. Warum Kerstin Kaiser dennoch auch aus energiepolitischer Sicht für den Koalitionsvertrag werben wolle, sei – „Plan B“. Dieser sagenumwobene Plan B beinhaltet im Prinzip die energiepolitischen Ergebnisse der Linken-Verhandlungsführer.

Hoffnung durch Plan B

So werden zum Beispiel alle Förderprogramme künftig einem ökologischen Check unterzogen. Und stolz sei man schon ein bisschen darauf dass man den Vorrang für erneuerbare Energien in den Koalitionsvertrag gebracht habe – anders sieht das beispielsweise die Grüne Liga. Außerdem, so Kerstin Kaiser, müsse Vattenfall künftig für seinen Wasserverbrauch zahlen. „Unter Schwarz-Rot sähe der Vertrag ganz anders aus!“

Die Genossen setzen auf den Faktor Zeit. Klar ist, dass in den nächsten fünf Jahren aus Gründen der Planverfahren keine neuen Tagebaue eröffnet werden. In dieser Zeit werde, wie es kryptisch hieß, die öffentliche Hand gestärkt im Protest gegen die Tagebaue. Mit diesen gebündelten „Maßnahmen“, so die subversive Rechnung der Genossen, werde die CO2-intensive Verstromung von Kohle  schlicht irgendwann ins Abseits manövriert. „Wir haben eine Politik begonnen“, zeigt sich Kerstin Kaiser überzeugt, „die die Braunkohle künftig überflüssig macht.“ Ob sie das selbst glaubt?

Muss künftig für den Wasserverbrauch zahlen: Vattenfalls Kraftwerk in Jänschwalde. (Fotos: Dittmer, Reimer, Grüne Jugend Brandenburg)

Viele der anwesenden Genossen von der Basis honorierten das Ergebnis: „Kröten schlucken muss man immer“, verteidigte Reinhard Weber aus Velten den Kompromiss. Ein Linke-Mitglied aus Barnim argumentierte, dass auch unter den Genossen keiner Lust habe auf hohe Heizkosten. „Viele haben sich auch aus Überzeugung nicht am Volksbegehren beteiligt.“ Auch Mathis Oberhof aus Schildow sprang für den Vorstand ein. „Versagt hat die ökologische Bewegung, aber nicht unsere Handlungsführer in Potsdam.“

Na bitte: Schuld sind immer die anderen. Nicht das eigene Wahlprogramm.

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