Das Bingospiel von Kopenhagen

Nicht nur Regierungsvertreter, Journalisten und Umweltschützer tummeln sich auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen, sondern auch Tausende Wirtschaftslobbyisten. Artikel bei Freitag.de vom 11. Dezember 2009 von Toralf Staud und Lars Dittmer

Als „wichtigste Konferenz seit dem zweiten Weltkrieg“ hat der britische Regierungsberater Sir Nicholas Stern den UN-Klimagipfel in Kopenhagen bezeichnet. Mark Grundy nennt ihn „die weltgrößte Gelegenheit fürs Klimamarketing in den nächsten vier Jahren – mindestens“. Grundy ist PR-Berater bei der weltweit agierenden Agentur Edelman, und bereits im Oktober 2008 riet er seinen Kunden, in Kopenhagen präsent zu sein, um im „grünen Image-Krieg“ zu punkten.

Illuminierte Weltkugel auf dem Rathausplatz in Kopenhagen (Alle Fotos: Lars Dittmer)

Nicht nur Delegierte von 192 Regierungen tummeln sich deshalb seit Montag in der dänischen Hauptstadt, sondern auch Tausende Journalisten, Umweltschützer – und Wirtschaftslobbyisten. Ihre Zahl hat sich seit dem Klimagipfel von Kyoto 1997 etwa verdreifacht. Am Freitag gab es in Kopenhagen einen eigenen „Business Day“ mit Diskussionsveranstaltungen und Firmenpräsentationen. Einige Unternehmen dürfen sich sogar „Sponsor“ des Gipfels nennen: BMW, Mercedes und Volvo beispielsweise chauffieren Delegierte – und haben dafür Fahrzeuge mit untypisch niedrigem CO2-Ausstoß nach Kopenhagen gebracht. Auch die PR-Agentur Hill&Knowlton nutzt die Gelegenheit zur Imageverbesserung – Kritiker hatten dem US-Unternehmen in der Vergangenheit unter anderem vorgehalten, dass es im Auftrag der Tabakindustrie Zweifel an der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen gesät oder für Kohlefirmen Stimmung gegen strenger Klimaauflagen gemacht habe.

Längst besitzen Unternehmensvertreter auf Klimagipfeln einen eigenen Status: BINGOs werden sie im Diplomatenjargon genannt, das ist das Kürzel für Business and Industry Non-Governmental Organizations. Die Delegationen etwa der Internationalen Handelskammer ICC oder der Internationalen Emissionshandels-Vereinigung sind inzwischen größer als die vieler Staaten Früher ging es den Lobbyisten etwa von Erdöl- oder Kohlefirmen darum, strenge Umweltauflagen zu verhindern – auch in Kopenhagen versuchen dies noch die Vertreter der Luftfahrtindustrie, die bisher von Emissionsgrenzen generell ausgenommen ist. Doch seit einigen Jahren gibt es immer mehr Unternehmen, die mit Klimaschutz gutes Geld verdienen. In Kopenhagen ist nun auch der Europäische Windkraftverband präsent. „Wir alle spüren: Das ist eine Konferenz, die uns bewegt“, bekannte kürzlich der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel. „Die Wirtschaft engagiert sich in großem Maßstab und versucht, das Gipfelergebnis zu beeinflussen“, sagt Olivier Hödemann vom lobby-kritischen Verband Corporate Europe Observatory.

Im Kopenhagener Bella Center, wo der Gipfel tagt, gibt es für die BINGOs einen eigenen Bereich mit Besprechungskabinen. Jeden Morgen, Punkt 9 Uhr, tauschen sich die Industrielobbyisten aus, was am Vortag passierte und für die nächsten Stunden zu erwarten ist. Bei den Verhandlungen selbst haben sie nur Beobachterstatus, deshalb versuchen sie vor allem am Rande des offiziellen Programms in privaten Gesprächen oder sogenannten „Side Events“ auf sich und ihre Ziele aufmerksam zu machen. Für die breite Öffentlichkeit gibt es glamouröse Auftritten beispielsweise auf dem Rathausplatz von Kopenhagen. Dort findet „Hopenhagen LIVE“ statt, eine Art Weihnachtskirmes von Umweltfirmen – oder jenen, die sich dafür halten.

Wenn es dunkel wird am späten Nachmittag, dann leuchtet dort eine riesige Erdkugel auf – unter anderem mit dem Logo des Energieriesen Vattenfall. In einem Ausstellungswagen präsentiert der schwedische Konzern Arbeiten junger Nachwuchsdesigner. „Vattenfall hat mir die künstlerische Freiheit gegeben, die ich für mein Projekt benötigte“, sagt Ejvind Chang, einer von ihnen, in Journalistenmikrofone. Dass der Konzern in der Ex-DDR alte Braunkohlekraftwerke weiterbetreibt und nach Greenpeace-Berechnungen mit fast 900 Gramm CO2-Ausstoß pro erzeugter Kilowattstunde Strom „Deutschlands klimaschädlichster Stromanbieter“ ist – davon hat der junge Designer nie gehört.

"Hope-Not"-enhagen.

Die Filme der Designstudenten verarbeiten Begriffe aus dem Bereich Klimaschutz – in einem greift etwa ein „Klimasuperheld“ immer dann ein, wenn Glühbirnen zu lange brennen. „Unser Konzern möchte Leute auf eine spaßorientierte und kreative Weise zum Klimaschutz bewegen“, sagt Sprecherin Andrine Nordby. In einer Ecke können Besucher auf einem Computermonitor den Wasserstand in verschiedenen Küstenstädten um eine beliebige Anzahl von Metern steigen lassen. Die Simulation zeigt exakt, welche Straßen überschwemmt werden. „Man kann gucken, ob man überlebt“, scherzt Nordby. Dabei hängt es gerade auch von Vattenfall ab, wie lange dreckige Kohlekraftwerke den Klimawandel anheizen und wie viele Opfer die Erderwärmung in den kommenden Jahrzehnten fordern wird.

Auf dem Screen kann man sehen, wer überlebt in Kopenhagen.

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