Dieses Jahr im Sommerlochkino: Zuwanderung

Wäre es nicht so ernst, man wäre versucht, zu lachen: Die Zuwanderung ist mal wieder der Sommerlochfüller. Wirtschaftsminister Brüderle möchte hochqualifizierte Zuwanderer mit einer „Lockprämie“ ins Land holen. Auf seine Seite schlägt sich der Verband Deutscher Ingenieure (VDI); Man habe ein Defizit von 36.000 Ingenieuren im Land, das Zuwanderungsgesetz müsse optimiert werden. Nun schreitet Bundeskanzlerin Merkel ein, meldet die dpa: Die Zuwanderungsgesetze müssen nicht grundsätzlich reformiert werden. Peng.

Diesmal mit dabei: Brüderle, Merkel, der HDI, und noch viele mehr...gefunden bei Wikipedia

Auffallend bei dieser Debatte ist – neben der totalen Ökonomisierung eines so vielschichtigen Phänomens wie Zuwanderung – die Lustlosigkeit, mit der sie inzwischen geführt wird. Vorhersehbar, lethargisch und emotionslos, als wünschten sich alle, sie wäre bereits vorüber. Denn letztendlich weiß man, sie wird im Keim erstickt. Von wem ist völlig offen, das Personal wandelt sich, aber die Argumente bleiben die gleichen. Blue-Cards, Punktesysteme, dies alles war und ist in einer Gesellschaft, die sich um das Bekenntnis drückt, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, a priori zum Scheitern verurteilt.

Aber es gab schon mal Zeiten, da wurde gekämpft! Dieses Pathos, diese Empörung. Man habe 3 Millionen Arbeitslose, donnerte man, die müsse man erst einmal qualifizieren. Kinder statt Inder. Das war vor 10 Jahren schon das Totschlagargument der Politik (hier etwa Müntefering im Focus), und es wird es in 20 Jahren auch noch sein. Denn man wird auch in 20 Jahren feststellen, dass es noch Arbeitslosigkeit gibt, und wird dann auf die Forderung, die Zuwanderung für Hochqualifizierte zu erleichtern, losdonnern, man habe 3 Millionen Arbeitslose, man solle doch erstmal schauen, dass man die alle unterbringt. Wer die Debatte dann abwürgt, wird das Sommerlochkino der Zukunft zeigen.

Drei Gedanken prägen die Einwanderungsdiskussion in Deutschland. Erstens: „Eigentlich kann jeder alles machen“, zweitens: „Ausländer könnten nie selber Jobs schaffen“ und drittens: „Unser Land ist so attraktiv, wenn wir Hochqualifizierte haben wollten, könnten wir“. Zu Nummer 1: Lassen sich die heutigen Arbeitslosen problemlos in den überschüssigen Jobs unterbringen? Vermutlich nicht, es gibt Indikatoren dafür, dass die Arbeitslosigkeit strukturell ist, für einen großen Teil der heutigen Arbeitslosen fehlen attraktive gering qualifizierte Tätigkeiten, die im Zuge der Umstellung von der Industrie- auf die Dienstleistungsgesellschaft weg gebrochen sind. Lässt sich hier durch die Weiterbildungen der Arbeitsagenturen viel machen? Eher nicht. Lassen sich Geisteswissenschaftler nach 16 Semestern Studium ohne Probleme zum Informatiker oder Ingenieur umschulen? Kaum vorstellbar.Will jeder überall dort hinziehen, wo gerade eine derartige Stelle frei wird? Nope. Sollte man ihn/sie zwingen? Ich finde nicht.

Migration: Totale Ökonomisierung eines vielschichtigen Phänomens

Der Gedanke „eigentlich kann jeder alles machen“ ist in der Debatte in Deutschland allerdings auch immer mit dem unappetitlichen Subtext: „Solange er/sie „Deutscher“ ist“ verbunden. Denn genau diese Denke ist implizit in der Forderung, man müsse erstmal alle hiesigen unterbringen: Jemand aus dem Ausland kommt und nimmt einen Arbeitsplatz weg.  Und dies bestenfalls. Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme erscheint auch den politischen Entscheidern hierzulande wahrscheinlicher als der kuriose Gedanke, dass Ausländer hier auch neue Jobs schaffen könnten.

Zur dritten Prämisse: „Unser Land ist so attraktiv, wenn wir Hochqualifizierte haben wollten, könnten wir“. Mit der derzeitigen Regelung versucht man zumindest mit einigem Erfolg, sich diese Klientel vom Leib zu halten. Mehr als 64.000 Euro Brutto – diesen strammen Verdienst benötigen Hochqualifizierte für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Man kann sich vorstellen, wie viele Menschen es schaffen, sich aus dem Ausland eine derartige Stelle zu angeln. Die Frage, ob „sie“ es überhaupt möchten, ob Migranten Deutschland als eine demokratische Gesellschaft wahrnehmen, die das Anderssein von Ausländern als Bereicherung wahr nimmt und zu schätzen weiß, kommt in der Debatte hierzulande eigentlich nicht vor. So sagte der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, dem Focus: „Kluge Köpfe achten bei der Einwanderung nicht nur auf die Bezahlung, sondern auch auf die gesellschaftliche Atmosphäre.“ Oft sind es die ruhigen Töne, die das Hinhören am meisten lohnen.

Denn: man braucht nicht glauben, dass Proteste gegen Moscheen, rechte Gewalt und Abschottungspolitik im Ausland nicht wahr genommen werden. Zumindest wirkt es. Als „Einwanderungsland“ kann sich Deutschland seit 2009 beim besten Willen nicht mehr bezeichnen. So vermeldet die Bundeszentrale für politische Bildung:

Eine Besonderheit der Migrationsentwicklung findet in der Öffentlichkeit übrigens bislang kaum Niederschlag, nämlich die Auswanderung aus den EU-Ländern. In Deutschland haben 2009 mehr Menschen das Land verlassen als zugezogen sind. Während ca. 721.000 Personen nach Deutschland gekommen sind, haben rund 734.000 das Land verlassen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.

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